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Ausbeutungsformen

Die Strafbarkeit wegen Menschenhandels setzt voraus, dass die handelnden Personen mit dem Vorsatz handeln, dass die Opfer (gegenwärtig oder auch später) ausgebeutet werden. Als Ausbeutung kommen laut § 104a Abs 3 Strafgesetzbuch sexuelle Ausbeutung, Ausbeutung durch Organentnahme, Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung zur Bettelei oder Ausbeutung zur Begehung strafbarer Handlungen in Betracht.

Im Folgenden finden Sie zu jeder der genannten Ausbeutungsarten ein Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel, in dem unter anderem die Erscheinungsformen der Ausbeutungsart und einschlägige Forderungen der Plattform dargestellt werden.

Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung

Positionspapier Sexuelle Ausbeutung

Definition und Erscheinungsformen

Entsprechend der Europaratskonvention schließt auch der österreichische Tatbestand „Menschenhandel“ in § 104a StGB sexuelle Ausbeutung ein.

Sexuelle Ausbeutung liegt gemäß den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage1 zu § 104a StGB vor, „wenn eine Person sexuelle Leistungen erbringen oder für sexuelle Handlungen zur Verfügung stehen soll, die mit ihren vitalen Interessen nicht im Einklang stehen, also etwa dann, wenn einer Prostituierten ein über die Deckung der Grundbedürfnisse des täglichen Bedarfs hinausgehender „Löwenanteil“ an den Gegenleistungen ihrer Freier vorenthalten wird oder ihr bestimmte, vitale Interessen gefährdende Bedingungen für die Ausübung der Prostitution vorgeschrieben werden (vgl. § 216 Abs. 2 StGB).“

Während sich die Definition historisch bedingt ausschließlich auf Ausbeutung in der Prostitution bezieht, kann sich sexuelle Ausbeutung auch im Kontext von Ehehandel, von sogenannten „Scheinehen“, von Pornographie oder im Rahmen einer unter Zwang eingegangenen Geschlechtsgemeinschaft bzw. durch erzwungene Leihmutterschaft ereignen; des Weiteren auch im Zusammenhang mit Arbeitsausbeutung, zum Beispiel in einem Haushalt oder einem Pflegeverhältnis. Hier werden die finanzielle Abhängigkeit der Person und die räumliche Nähe für sexuelle Übergriffe ausgenutzt.

Der Großteil der in Österreich identifizierten Betroffenen von Menschenhandel wird zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gehandelt.2
Überwiegend sind Frauen und Mädchen von diesem Bereich des Menschenhandels betroffen. 2011 waren es weltweit 97%. (UNODC: Global Report on Trafficking in Persons, 2014, 373) Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Anteil von männlichen und transgender Personen, die von sexueller Ausbeutung betroffen sind, im Dunkelfeld höher liegt als bei 3%, da diese Fälle kaum erkannt werden.

Menschenhandel kann generell – so auch zum Zweck der sexuellen Ausbeutung – durch folgende Umstände begünstigt werden:

  • Ausnützen der Notlage einer Person
  • Armut durch fehlende soziale Absicherung
  • Ausbleiben von Unterhaltszahlungen an Alleinerziehende
  • mangelnde Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten im Herkunfts-,Transit- oder Zielland
  • fehlende Aufenthaltsgenehmigung
  • fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt
  • Ausnützen von Machtgefällen, beispielsweise als Folge von einer unter Zwang eingegangenen Geschlechtsgemeinschaft
  • Schuldknechtschaft
  • einer (familiären) Gewaltbeziehung
  • einer emotionalen Abhängigkeit in Eltern-Kind- oder Paarbeziehungen
  • körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen der betroffenen Personen
  • religiösen Überzeugungen (z.B. Juju oder Voodoo-Zauber)

Herausforderungen

Der Zugang zu grundlegenden Opferrechten setzt die „offizielle“ Identifizierung von Opfern voraus.

Diese ist in Österreich derzeit immer noch ausschließlich der Polizei vorbehalten und setzt daher eine Anzeige bzw. Aussage der Betroffenen bei der Polizei voraus.
Dies ist problematisch, weil vielen Opfern aus den weiter unten angeführten Gründen die Aussage vor der Polizei (noch) nicht zumutbar ist. Damit bleibt ihnen der Zugang zu vielen ihnen aufgrund internationaler Konventionen zustehenden Rechten verwehrt.

Fehlende Rechte bzw. Schutzvorschriften im Umfeld der Prostitution

Sexuelle Ausbeutung findet häufig im Kontext der Prostitution statt.
Sie wird durch das Fehlen von Arbeitsrechten, Regelung von Mindestlöhnen sowie anderer Schutzvorschriften (wie Mutterschutz) bzw. der Festlegung von Obergrenzen für Raummieten gefördert, da die betroffenen Personen unter großem finanziellen Druck Arbeitsbedingungen und Praktiken akzeptieren müssen, die sie grundsätzlich ablehnen. Der finanzielle Druck wird auch dadurch erhöht, dass Menschen in Prostitution wiederholt für Fehlverhalten von Kund*innen verwaltungsstrafrechtlich belangt werden.

Die geltenden Regelungen des Asylgesetzes, die Asylwerber*innen hauptsächlich selbständige Erwerbstätigkeit ermöglichen, werden von Menschenhändler*innen in zweifacher Weise ausgenutzt:

Zum einen dadurch, dass Betroffene von Menschenhandel angehalten werden, sich in Österreich unter Angabe falscher Asylgründe oder einer falschen Identität als Asylwerber*innen registrieren zu lassen, was ihre Glaubwürdigkeit massiv beeinträchtigt, wenn sie später die Gefahr der Vergeltung oder neuerlichen Rekrutierung durch die Menschenhändler*innen als (wahren) Asylgrund offenbaren.

Zum anderen dadurch, dass Asylwerber*innen mangels Zugangs zu alternativen Erwerbsmöglichkeiten sowie mangels Sprachkenntnissen die Tätigkeit in der Prostitution wählen und darin leichter ausgebeutet werden können.

Identifizierung der Betroffenen

Die Identifizierung der Betroffenen wird dadurch erschwert, dass Prostitution in aller Regel weniger sichtbar und zugänglich ist.
Zudem werden Betroffenen oft von Personen aus ihrem familiären Umfeld ausgebeutet oder von Personen, von denen sie durch Vortäuschung eines Liebesverhältnisses emotional abhängig sind. Die Täuschung durch eine Liebesbeziehung wird im internationalen Kontext auch als „Loverboy – Methode“ bezeichnet. Dieser Begriff wird allerdings von einigen der in der Plattform vertretenen NGOs abgelehnt.4

Hinzu kommt, dass sich viele Betroffene selbst nicht als Opfer sehen.
Auch die mit Prostitution einhergehende Stigmatisierung kann die Identifizierung erschweren.

Hinzu kommt der Rollenkonflikt der Polizei, die einerseits das Vertrauen der Betroffenen gewinnen soll, um sie als Opfer von Menschenhandel identifizieren zu können, andererseits aber dieselben Personen laufend wegen Verwaltungsübertretungen bestrafen soll5.

Sexuelle Ausbeutung im privaten Kontext, sei es infolge Ehehandels oder erzwungener Leihmutterschaft oder durch sexuelle Übergriffe auf Haushaltsangestellte, bleibt der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verborgen. Durch diese Isolation im privaten Bereich wird eine Identifizierung der Betroffenen erschwert.

Fehlende Alternativen

Fehlende oder schwer zugängliche Alternativen machen es dem Großteil der Betroffenen unmöglich, dem Ausbeutungsverhältnis zu entfliehen. So ist es für Menschen, die sich selbst aus Ausbeutungsverhältnissen befreien konnten oder die aus diesen befreit wurden, oftmals schwer den Zugang zu Unterstützungsleistungen zu den wenig vorhandenen Angeboten an finanzieller Unterstützung, an Ausbildungsmöglichkeiten und Jobtrainings zu finden. Ohne Bereitschaft zur Aussage oder Anzeige steht den Betroffenen auch keine „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ bzw. Grundsicherung zu.

Forderungen der Plattform

  • Praktische Umsetzung des Verzichts auf Strafverfolgung von Betroffenen von Menschenhandel. Auch Verwaltungsstrafen für Verstöße, die im Zusammenhang mit dem Menschenhandel verhängt worden sind, müssen den Betroffenen laut internationalen Richtlinien erlassen werden.
  • Um die Beweisführung nicht unbedingt von der Aussage eines oftmals traumatisierten oder eingeschüchterten Opfers abhängig zu machen, sollten die Strafverfolgungsbehörden verstärkt danach trachten, andere Beweise zu gewinnen, z.B. im Wege der Telefonüberwachung, Hausdurchsuchung oder Kontoöffnung.
  • Um die Aussagebereitschaft von traumatisierten Opfern gegen die Täter*innen zu erhöhen, sollte ihre Bedenkzeit auf 6 Monate verlängert und im Fremdenpolizeigesetz verankert werden, damit in dem fraglichen Zeitraum keinesfalls eine Abschiebung stattfinden kann.
  • Betroffenen von Menschenhandel sollen die vollen Opferrechte, insbesondere Aufenthaltsrecht, Grundsicherung bzw. Hilfe in besonderen Lebenslagen und Zugang zum Gesundheitssystem, unabhängig von einer Anzeige schon dann zustehen, wenn sie von einer spezialisierten NGO betreut werden. Die Erfahrung zeigt, dass eine kontinuierliche Vertrauensarbeit, wie sie von NGOs geleistet wird, eine wirksame Möglichkeit ist, die wahre Geschichte einer Person zu erfahren und diese zu ermutigen, gegen ihre Ausbeuter*innen auszusagen.
  • Im Asylverfahren sollte den Berichten der betreuenden NGOs derselbe Stellenwert eingeräumt werden wie der Gefährdungsanalyse durch die Polizei und der behördlichen „Staatendokumentation“.
  • Für potentiell von Menschenhandel betroffene Personen sollten bei Behörden immer Personen gleichen Geschlechts zuständig sein, wenn die Betroffenen es nicht ausdrücklich anders wünschen.
  • Vermehrte Schaffung finanzieller Unterstützungsleistungen bzw. einer bedarfsorientierten Grundsicherung.
  • Zugang zum regulären Gesundheitssystem ab Identifikation durch eine anerkannte NGO, unabhängig von einer Strafverfolgung oder der Zuerkennung einer Sozialleistung. In manchen Fällen ist nur so ein notwendiger Behandlungsbeginn gesichert.
  • Schaffung gesetzlicher Arbeitsrechts- und Arbeitsschutzbestimmungen für in der Prostitution Erwerbstätige, da das Fehlen solcher Vorschriften die Gefahr der Ausbeutung bzw. die Verletzbarkeit der in der Prostitution Tätigen massiv erhöht. Dazu zählen Beispielsweise Mindestlöhne, Mietobergrenzen (z.B. in Laufhäusern), Mutterschutz und Kondompflicht.
  • Mehr Sensibilisierungsarbeit, damit auch betroffene Männer und Transgender-Personen als Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung erkannt werden.
  • Erhöhte Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der zuständigen Institutionen für andere Betroffene von sexueller Ausbeutung, damit mehr Betroffene in Haushalten/in Ehen sich selbst bzw. andere sie als Betroffene erkennen und diese auch zu ihren Rechten kommen.
  • Prävention in Herkunfts- und Zielländern durch Aufklärung über rechtliche Rahmenbedingungen von Migration, arbeitsrechtliche Schutzvorschriften und Hilfs- und Beratungseinrichtungen durch das BMEIA und österreichische Botschaften im Ausland.

1 EBRV StRÄG 2004, 294 BlgNR XXII.GP, 12.
2 Task Force Menschenhandel, 3. Österreichischer Bericht zur Bekämpfung des Menschenhandels 2012 bis 2014, S. 5 unten.
3 Für 2016 wird der nächste Global Report on Trafficking in Persons der UNODC erwartet.
4 Die Kritik bezieht sich auf die genderstereotype Konstruktion des „Loverboys“ als junger Mann, der eine junge Frau täuscht, wodurch ausschließlich heterosexuelle Vorstellungen von jungen Paaren abgedeckt werden, nicht dagegen homosexuelle Konstellationen oder die Involvierung anderer Altersstufen. Des Weiteren stellt der Begriff des „Loverboys“ eine Verniedlichung dieser Methode von Menschenhändler*innen dar, da er im allgemeinen Kontext positiv konnotiert ist.
5 In einzelnen Fällen häufen sich auf diese Weise Verwaltungsstrafen von mehreren Tausend Euro an.

Menschenhandel zum Zweck der Organentnahme

Positionspaper Organentnahme

Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel Stand Jänner 2017, Aufbauend auf einem Entwurf von Katie Klaffenböck (IOM)

Definition und Erscheinungsformen

Die Entwicklung von Organtransplantationen stellt eine bedeutende Leistung der modernen Medizin dar, die bereits viele Menschenleben gerettet bzw. erheblich verbessert hat. In Österreich werden jährlich mehrere hundert Organtransplantationen durchgeführt, hauptsächlich von Nieren, Lebern und Lungen.

Allerdings ist die Nachfrage nach menschlichen Organen wesentlich höher als das Angebot. Laut der Europäischen Kommission warteten im Jahr 2007 ca. 65.000 Personen in der EU auf eine gesunde Niere. Insgesamt wurden im selben Jahr nur ca. 25.000 Transplantationen durchgeführt. Mehr als die Hälfte der Patient*innen konnte also nicht versorgt werden.

Obwohl eine Gewinnerzielung durch eine Organspende verboten ist, entsteht durch das
Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot ein Markt für den illegalen Kauf und Verkauf von menschlichen Organen. Weltweit entscheiden sich Menschen für eine illegale Organspende in der Hoffnung, sich dadurch einen Ausweg aus der Armut zu schaffen. Teilweise werden potentielle Spender*innen von Zwischenhändler*innen über die möglichen Folgen einer Organspende getäuscht. Eine daraus resultierende Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands der Person kann nämlich ihre Armut und soziale Verletzlichkeit noch verstärken.

In Österreich kann „Ausbeutung durch Organentnahme“ unter den Tatbestand Menschenhandel gemäß § 104a Strafgesetzbuch fallen. So ist z.B. die Anwerbung einer Person für eine Organspende durch Täuschung oder falsche Versprechungen gesetzlich untersagt und mit gerichtlicher Strafe bedroht.

Bis dato gibt es hierzulande keinen bekannten Fall von Menschenhandel zur Organentnahme. Dies ist wahrscheinlich auf die „Widerspruchlösung“ in Österreich zurückzuführen, wonach die explizite Zustimmung einer verstorbenen Person nicht erforderlich ist, um ihr einzelne Organe oder Organteile zu entnehmen (§§ 62a-e des Krankenanstalten und Kuranstaltengesetzes, BGBl. Nr. 1/1957 idgF). Aufgrund dieses Gesetzes ist der Unterschied zwischen Nachfrage und Angebot in Österreich nicht so erheblich wie in Ländern, in denen eine Organspende eine ausdrückliche Zustimmung des/der Verstorbenen zu Lebzeiten voraussetzt.

Obwohl bislang noch keine Fälle in Österreich bekannt sind, ist es trotzdem möglich, dass Österreich von Menschenhandel durch Organentnahme betroffen ist. So könnten beispielsweise österreichische Patient*innen, die im Ausland operiert werden, um ihre Wartezeit zu verkürzen, ein durch Ausbeutung entnommenes Organ transplantiert bekommen. Es ist auch möglich, dass medizinisches Personal in Österreich mit Personen in Kontakt kommt, denen Organe gegen ihren Willen bzw. unter Einsatz unlauterer Mittel entnommen wurden, zum Beispiel, wenn dies auf der Flucht geschah, die die betroffene Person schließlich nach Österreich führte.

Weltweit gesehen ist die Datenlage zu Menschenhandel durch Organentnahme spärlich. Laut UNODC wurden zwischen 2010 und 2012 in lediglich 12 Ländern Fälle berichtet. Die überwiegende Mehrheit der identifizierten Betroffenen waren Männer.

Herausforderungen

  • Wenig Bewusstsein für das Thema, da keine Fälle bekannt sind. Dadurch bleiben aber möglicherweise auch Fälle unerkannt, in denen Indizien auf ausbeuterische Organentnahme hindeuten.
  • Limitierte Ermittlungsmöglichkeiten bei Fällen, die vor vielen Jahren passiert sind – auch wenn die Betroffenen selbst später Anzeige erstattet haben. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass Betroffene sich nicht mehr daran erinnern, wo die Entnahme stattgefunden hat, da ihnen ein Anästhetikum/Betäubungsmittel verabreicht worden war.

Forderungen der Plattform

  • Die „Widerspruchlösung“ soll beibehalten werden, um die Entstehung eines illegalen Organmarkts zu unterbinden.
  • Medizinisches Personal soll mit dem Thema Menschenhandel durch Organentnahme vertraut sein und potentielle Betroffene identifizieren können (z.B. auffällige Narben).
  • Beamt*innen, die für erst- und zweitinstanzliche Asylverfahren zuständig sind, sollen über das Thema Menschenhandel durch Organentnahme Bescheid wissen und asyl- bzw. verfahrensrelevante Informationen bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen.
  • Mitarbeiter*innen, die für die Versorgung von Asylwerber*innen zuständig sind, sollen mit dem Thema Menschenhandel durch Organentnahme vertraut gemacht werden.

Quellen:
UNODC (2015). Assessment Toolkit. Trafficking in Persons for the Purpose of Organ Removal.
https://www.unodc.org/documents/human-trafficking/2015/UNODC_Assessment_Toolkit_TIP_for_the_Purpose_of_Organ_Removal.pdf
Bundesministerium für Gesundheit und Frauen. „Organe”.
http://www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Medizin/Blut_Gewebe_Organe/Organe/ (Zugriff 19.09.2016)

Positionspapier Arbeitsausbeutung

Positionspapier Arbeitsausbeutung

Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel Stand: Jänner 2017, Aufbauend auf einem Entwurf von IOM, LEFÖ-IBF und MEN VIA

Definition und Erscheinungsformen

Ausbeutung der Arbeitskraft ist in Österreich explizit in zwei gerichtlichen Straftatbeständen erfasst. Das Delikt Menschenhandel (§ 104a Strafgesetzbuch) stellt die Ausbeutung der Arbeitskraft als eine in Absatz 3 ausdrücklich genannte Ausbeutungsform unter Strafe. § 116 Fremdenpolizeigesetz sanktioniert die Ausbeutung eines Fremden, welcher sich in einer besonderen Abhängigkeit befindet. Zudem hat Österreich die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu Zwangsarbeit ratifiziert, in der Zwangsarbeit als Arbeit definiert wird, „die unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie [die Person] sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat„.

Ausbeutung der Arbeitskraft liegt laut österreichischer Judikatur vor, wenn eine Person rücksichtslos ausgenutzt wird und die Ausnutzung gegen ihre lebenswichtigen Interessen gerichtet ist. Erhält sie für die Arbeit über längere Zeit keine oder nur völlig unzureichende Bezahlung oder wurden die gesetzlich festgelegten oder zumutbaren Arbeitszeiten über einen „längeren Zeitraum exzessiv ausgedehnt“, so wird von Ausbeutung der Arbeitskraft gesprochen. Zudem liegt Ausbeutung auch dann vor, wenn das Opfer unter sonst unzumutbaren Arbeitsbedingungen oder unter erheblicher und nachhaltiger Verletzung kollektivvertraglicher oder gesetzlicher österreichischer Mindeststandards zur Arbeit angehalten wird. Zudem ist es unerheblich, ob die Person selbständig oder unselbständig tätig war.

Fälle von Arbeitsausbeutung sind in Österreich vor allem im Haushalt, in der Pflege, im Gastgewerbe, am Bau, in der Landwirtschaft und in der Sexarbeit bekannt. Personen mit einem geringen Ausbildungsniveau, mit Verständigungsproblemen, aus ärmlichen Verhältnissen oder ohne regulären Zugang zum Arbeitsmarkt sind besonders gefährdet. Prekäre Arbeitsbedingungen und Isolation erhöhen das Risiko, ausgebeutet zu werden.
In der Sexarbeit (dieser Begriff wird von einigen NGOs der Plattform abgelehnt) wird die Ausbeutung zusätzlich durch die gesellschaftliche Stigmatisierung und das Fehlen von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften erleichtert. Die Grenzen zwischen Ausbeutung der Arbeitskraft und sexueller Ausbeutung sind fließend. So hält der „General Survey concerning the Forced Labour Convention“ (ILO, 2007) fest, dass Fälle von sexueller Ausbeutung in der Prostitution in aller Regel auch die Definition von Zwangsarbeit erfüllen. In solchen Fällen wird daher von den Gerichten auch Arbeitsausbeutung zu prüfen sein.

Herausforderungen

Im Vergleich zu anderen Ausbeutungsformen ergeben sich bei Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung einige spezielle Herausforderungen bei der Identifizierung und dem Schutz von Betroffenen sowie bei der Strafverfolgung der Täter*innen:

  • Das Bewusstsein bezüglich Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung ist sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei relevanten Akteur*innen geringer ausgeprägt als hinsichtlich anderer Ausbeutungsformen.
  • Von Kontrollbehörden werden Betroffene von Arbeitsausbeutung aus dem Fokus des Steuer- und Sozialbetrugs als Mittäter*innen angesehen und daher vielfach nicht als Opfer identifiziert.
  • Es braucht Wissen und Erfahrung, um Arbeitsausbeutung und Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung zu differenzieren, da diese ineinander übergreifen und der Übergang von legitimen Beschäftigungskonditionen, über arbeitsrechtlich zu klärende Missstände, hin zu strafrechtlich relevanten Sachverhalten, fließend ist.
  • Betroffene kennen meist nicht die ihnen zustehenden Ansprüche bzw. haben Angst, diese geltend zu machen.
  • Arbeit in Privathaushalten (z.B. Haushaltsarbeit und Pflege) ist oft unsichtbar und somit auch dort stattfindende Arbeitsausbeutung.
  • Durch die Teilung von Kompetenzen unter mehreren Kontrollbehörden entstehen Hindernisse, Ausbeutung zu erkennen und Beweismittel zu sichern:
    • Arbeitsinspektionen sind nicht zuständig für die Kontrolle von arbeits- oder sozialversicherungsrechtlichen Belangen, Arbeitsverträgen und korrekter Entlohnung.
    • Der Finanzpolizei stehen Maßnahmen bzw. Befugnisse gemäß Strafprozessordnung, wie etwa die Zeug*innen- oder Beschuldigtenvernehmung oder die Durchsetzung von Beweismittelsicherung, nicht zu.
    • Im Bereich der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping kontrolliert die Finanzpolizei lediglich Unternehmen, deren Sitz nicht in Österreich liegt; ansonsten liegt die Zuständigkeit bei den Krankenkassen.
    • Die Kontrolle und Bestrafung von Firmen mit ausländischem Sitz gestaltet sich besonders schwierig. Teilweise sind diese rechtlich schwer fassbar und können damit nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Forderungen der Plattform

Stärkere Sensibilisierung

  • Es ist notwendig, flächendeckend Wissen über Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung zu vermitteln.
  • Institutionalisierte, bereichsübergreifende Fortbildungen für alle Behörden (z.B. Finanzpolizei, Arbeitsinspektorat) sind notwendig.
  • Bei der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping sollte die Aufmerksamkeit verstärkt Lohndumping gewidmet werden.
  • Die Finanzpolizei sollte im Bereich der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping auch inländische Unternehmen kontrollieren können.
  • Kontrolleinrichtungen sollten potentielle Betroffene mittels mehrsprachiger Informationsblätter über die Möglichkeit von (Rechts-) Beratungen informieren.
  • Muttersprachliche Beratungsangebote für (potentielle) Arbeitnehmer*innen sollten flächendeckend zur Verfügung stehen. Etablierte Projekte bzw. Beratungsstellen, die zu Arbeitsrechten informieren, sind weiterzuführen und grenzüberschreitende gewerkschaftliche Beratung (z.B. IGR) ist auszubauen.
  • In den Herkunftsländern sollten Ausreisewillige bereits über arbeitsrechtliche Standards im Zielland informiert werden.
  • Durch die Ausbildung von Peers, die Wissen in die Gruppe vermitteln, kann eine größere Zahl von Arbeitnehmer*innen erreicht werden (Mundpropaganda).
  • Zusätzlich sollten Sensibilisierungsmaterialien an öffentlich leicht zugänglichen Plätzen, wie beispielsweise in Supermärkten, ausgelegt werden.
  • Interessenvertretungen sollten Vorlagen für Arbeitsunterlagen und Verträge in einfacher, verständlicher Sprache erstellen, die von Unternehmen verwendet werden sollten.

Zugang zu Entschädigung bzw. Nachzahlung vorenthaltener Löhne

  • Eine angemessene Kompensationszahlung für Betroffene ist auch bei Zahlungsunfähigkeit der Täter*innen zu garantieren, indem die öffentliche Hand die Vorleistung übernimmt und dann die Täter*innen in Regress nimmt.
  • Zugang zu Rechtsberatung und Prozessbegleitung ist sicherzustellen.

Strafverfolgung

  • Die Strafverfolgungsbehörden sollen sich im Rahmen der Ermittlungen bemühen, Sachbeweise, etwa durch Telefonüberwachung oder Hausdurchsuchungen zu erlangen, damit die Aussagen von Betroffenen nicht die einzigen Beweismittel sind. Die Beweislast darf nicht alleine den Opfern obliegen.
  • Für die Beurteilung, ob Arbeitsausbeutung vorliegt, ist ausschließlich das Lohnniveau in Österreich (Kollektivvertrag), nicht jenes im jeweiligen Herkunftsland, maßgeblich.
  • Es ist sicherzustellen, dass Kommunikation in verschiedenen Sprachen möglich ist und Dolmetschen und Übersetzung gewährleistet wird.

Zusammenarbeit

  • Die Zusammenarbeit zwischen Kontrollbehörden (z.B. Arbeitsinspektorat, Finanzpolizei, Krankenkassen und Polizei) soll verstärkt werden, um Betroffene besser identifizieren und Beweismittel sichern zu können.
  • Zu diesem Zweck sind grenzüberschreitende Kooperationen auszubauen.

Privatsektor

  • Die Privatwirtschaft soll angehalten werden, ihre Geschäfte und Lieferketten frei von Menschenhandel und Ausbeutung zu halten und die getroffenen Maßnahmen von unabhängigen Einrichtungen kontrollieren zu lassen. Hierzu sollen die UN Guiding Principles for Business and Human Rights herangezogen werden.

Positionspapier Ausbeutung in der Bettelei

Positionspapier Ausbeutung in der Bettelei

Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel Stand Jänner 2017, Aufbauend auf einem Entwurf von Markus Zingerle (MEN VIA)

Definition und Erscheinungsformen

Betteln wird im medialen und öffentlichen Diskurs immer wieder abgewertet und nicht als legitime Art betrachtet, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Familien werden als Banden oder gar als Bettelmafia diffamiert. Menschen, die betteln, wird unterstellt, keiner anderen Arbeit nachgehen zu wollen oder zum Betteln gezwungen worden zu sein. Dabei wird der überwiegende Teil der Menschen, die ihr Überleben zum Teil mit Betteln sichern müssen, allein von Armut und Alternativlosigkeit dazu gezwungen. Zugehörigkeit zu einer diskriminierten Gruppe, Alter, Krankheit, Behinderung, fehlende Ausbildung und weitere Gründe verschließen ihnen den Zugang zu anderer Erwerbstätigkeit. Die Diskreditierung des Bettelns und Stigmatisierung von Menschen, die betteln, tragen zu einer großen Verletzbarkeit bei.

Jemanden mit unlauteren Mitteln1 und dem Vorsatz, dass er oder sie ausgebeutet wird, zum Betteln zu bringen, ist seit 20132 gemäß 104a StGB als Menschenhandel strafbar.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten nahm das Betteln in ganz Europa zu, was zu einer stark emotionalisierten Debatte, zu unterschiedlichen Regulierungsbemühungen und nicht zuletzt auch zu Bettelverboten auf Landes- und Gemeindeebene führte. „Aufdringliches“ Betteln beziehungsweise Betteln mit Kindern sind weitgehend verboten. Als „aufdringlich“ wird aber teilweise schon beurteilt, wenn jemand die Hand ausstreckt oder jemanden anspricht. Mütter, die ihre Kinder auch nur auf dem Schoß sitzen haben, riskieren nicht nur eine Verwaltungsstrafe, sondern auch die Kindesabnahme.

Daneben existieren unterschiedliche Bestimmungen mit Interpretationsspielräumen, die Menschen, die betteln, dieses fast unmöglich machen. Strafen für gewerbsmäßiges Betteln werden teilweise schon verhängt, wenn jemand einige Male am selben Ort gebettelt hat. Wegen „organisierten“ Bettelns wird bisweilen schon bestraft, wer mit einem anderen Menschen, der bettelt, Augenkontakt hatte. Zusätzlich werden andere Rechtsnormen, wie etwa die Straßenverkehrsordnung, herangezogen, um Menschen, die betteln, z.B. wegen „unbegründetem Stehenbleiben“ oder der „Behinderung des Fußgängerverkehrs“ zu bestrafen.

Gerechtfertigt werden Einschränkungen des Bettelns und Bestrafungen mitunter als Beiträge zum Kampf gegen Menschenhandel. Diese Argumentation weist die Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandels zurück, denn damit wird fälschlich unterstellt, dass Betteln immer eine Form oder Folge von Ausbeutung ist.

1 Bei Minderjährigen ist der Tatbestand auch ohne das Vorliegen unlauterer Mittel erfüllt.
2 Mit dem „Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013“ (BGBl I 2013/116) wurde die EU-Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, ABl. Nr. L 101 vom 15.4.2011, umgesetzt und u.a. „Ausbeutung zur Bettelei“ ausdrücklich als Ausbeutungsform in den Tatbestand „Menschenhandel“ (§ 104a Strafgesetzbuch) aufgenommen.

Generelle Einschränkungen treffen und kriminalisieren vor allem die vermeintlichen und auch die tatsächlichen Opfer. Zur Identifikation von Betroffenen von Menschenhandel oder zur Strafverfolgung von Täter*innen wird durch Bettelverbote nicht beigetragen. Einschränkungen zum Schutz der Kinderrechte bzw. des Kindeswohls, sind aber notwendig und gerechtfertigt, aber ohnedies durch entsprechende Gesetze abgedeckt.

Die Aufnahme von Ausbeutung zur Bettelei in die Definition von Menschenhandel hat aber die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden nun auch auf Straftaten gegen diese marginalisierte Gruppe gelenkt und ermöglichte bereits in den ersten Jahren einigen Verbrechensopfern Zugang zu Schutz und rechtlichen Schritten gegen ihre Ausbeuter*innen. Laut Streetworkern und Beratungsstellen für Menschen, die betteln, sind Berichte über Ausbeutungsfälle selten. In den meisten dieser sowie der polizeilich ermittelten Fälle beuteten einzelne Täter*innen oder kleine Gruppen wenige Betroffene aus. Teilweise waren die Ausbeuter*innen Menschen, die auch selbst bettelten.

Herausforderungen

Identifizierung

Zahlreiche Hindernisse erschweren die Identifikation der von Menschenhandel betroffenen Personen, die betteln. Wiederholte Erfahrungen der Erniedrigung, Bestrafung, Vertreibung, Polizeigewalt und Entrechtung erschüttern jedes Vertrauen gegenüber Vertreter*innen von Behörden und Sozialeinrichtungen. Dabei wären die Behörden aufgefordert, Verdachtsfälle von Menschenhandel proaktiv zu erkennen und die identifizierten Opfer vor weiterer Bestrafung zu schützen.

Das Vertrauen vor allem junger Menschen, die in einer familiären Beziehung oder in einem sonstigen Autoritätsverhältnis zu den Ausbeuter*innen stehen, ist besonders schwer zu gewinnen. Mitunter sind Betroffene aufgrund ihrer negativen Erfahrungen sogar misstrauisch, wenn sie ein Unterstützungsangebot erhalten. Manche nehmen sich auch selbst gar nicht als ausgebeutet wahr. Beides hängt mit den Umständen in den Herkunftsländern zusammen, in denen sie noch schlechteren Lebensbedingungen, Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt waren.

Rassistische Vorurteile

Betteln wird auch in Österreich hauptsächlich als „Roma-Thema“ verhandelt. Antiziganistische Vorurteile spielen im politischen und medialen Diskurs eine große Rolle und schlagen sich auch in der Arbeit von Polizei und Behörden nieder. Dieses Problem muss anerkannt und bearbeitet werden um Pauschal- und Vorverurteilungen ohne sachliche Grundlage zu vermeiden.

Zeug*innen

Im Zuge von Einvernahmen und Aussagen vor Gericht erleben manche Menschen, die betteln, dass ihnen aufgrund von Vorurteilen nicht geglaubt wird. Angewiesenheit auf Dolmetsch und intellektuelle oder krankheitsbedingte Beeinträchtigungen erschweren es vielen dieser Betroffenen, den Anforderungen an schlüssige Zeug*innenaussagen gerecht zu werden. Selten liegen Sachbeweise oder Zeug*innenaussagen Dritter als Unterstützung vor, um die „Beweislast“ der Betroffenen zu erleichtern. Dies ist vor allem auch eine Herausforderung für die Ermittlungsbehörden.

Schutz vor erneuter Ausbeutung

Menschen, die in der Bettelei Opfer von Ausbeutung geworden sind, bleiben unabhängig vom Ausgang der juristischen Verfahren stark gefährdet, erneut in eine sehr verletzbare Lebenssituation zu geraten. Wenn weder Integration in Arbeitsmarkt oder Sozialsystem, noch eine sichere Rückkehr möglich sind, misslingt der Opferschutz. Als sicher kann eine Rückkehr nur bezeichnet werden, wenn weder Rache oder erneute Gewalt durch die Täter*innen, noch der Rückfall in eine ebenso verletzbare Lage wie vor dem Menschenhandel drohen. Besonders Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht eigenständig lebensfähig sind, kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut in Abhängigkeits- und Gewaltbeziehungen

Forderungen der Plattform

  • Die Expertise der Opferschutzeinrichtungen und einschlägig erfahrener NGOs ist anzuerkennen, wenn es um die Identifizierung von Betroffenen von Menschenhandel geht. Durch erfahrene NGOs identifizierte Betroffene des Menschenhandels sind rechtlich mit jenen Personen gleichzustellen, die von Strafverfolgungsbehörden identifiziert wurden. Manchen Betroffenen ist eine Aussage vor Polizei oder Gericht nämlich nicht zumutbar, insbesondere wenn sie infolge der Ausbeutung traumatisiert sind oder aufgrund von persönlichen Defiziten voraussichtlich nicht zu einer entsprechend verwertbaren Aussage in der Lage sind.
  • Rascher Zugang zur Gesundheitsversorgung für Betroffene von Menschenhandel. In der Bettelei werden nämlich auch Menschen mit multiplen Erkrankungen und dringendem Behandlungsbedarf ausgebeutet.
  • Schulungen der Behördenvertreter*innen in nicht-diskriminierender Kommunikation sowie zum Thema Antiziganismus sind notwendig, sowie überhaupt Bewusstseinsbildung zur Lebenssituation von Menschen, die betteln, sowohl hier als auch in den Herkunftsländern. Den Behörden sollten überdies gezielt Personen anstellen, die über entsprechende Sprach- und Kulturkompetenz verfügen („cultural mediators“).
  • Sensibilisierung von Behörden und Medien darüber, dass Betteln häufig nicht mit Ausbeutung einhergeht.
  • Gewährung des humanitären Aufenthaltsrechtes und Zuerkennung der Mindestsicherung sowie Öffnung der Wohnungslosenhilfe für nicht allein lebensfähige Betroffene von Menschenhandel nach Abschluss der Verfahren oder der Betreuung durch eine Opferschutzeinrichtung.3
  • Hinsichtlich betroffener Kinder und Jugendlicher, bzw. Kindern, die von der Behörde abgenommen wurden, muss eine das Kindeswohl gewährleistende Betreuung hier oder im Herkunftsland sichergestellt sein. Zu diesem Zweck ist seitens Österreichs ein regelmäßiger Informationsaustausch mit den jeweils zuständigen Jugendwohlfahrtsbehörden der Herkunftsländer einzurichten. Das Kindeswohl ist im Sinne der österreichischen Standards auszulegen.

3 Es handelt sich dabei um eine kleine, aber sehr verletzbare Gruppe psychisch kranker und älterer Personen.

Positionspapier Strafbare Handlungen

Positionspapier Strafbare Handlungen

Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel Stand Jänner 2017, Aufbauend auf einen Entwurf von Katie Klaffenböck (IOM)

Definition und Erscheinungsformen

Verleitung oder Zwang zur Begehung von strafbaren Handlungen stellen eine der weniger bekannten Ausbeutungsformen des Tatbestands Menschenhandel laut § 104a Strafgesetzbuch dar. In solchen Fällen werden betroffene Personen unter Druck gesetzt oder es wird ihre Zwangslage ausgenützt oder aber sie werden – oft in sehr jungem Alter – dazu verleitet, mit Strafe bedrohte Handlungen zu verüben. Menschenhändler*innen profitieren dadurch, dass Betroffene beispielsweise einen Teil der Beute abgeben müssen bzw. die Verantwortung im Falle einer Festnahme auf sich nehmen.

Die meisten bekannten und vermuteten Fälle in Österreich beziehen sich auf die Ausbeutung von Minderjährigen. So werden beispielsweise Kinder aus schwachen sozialökonomischen Hintergründen beauftragt, Taschendiebstahl zu begehen oder Drogen zu verkaufen. Oft müssen die Kinder täglich bestimmte Mindest-Beträge abliefern. Sollten die Kinder nicht auf den genannten Betrag kommen, müssen sie in manchen Fällen das fehlende Geld durch andere Quellen decken, zum Beispiel durch das Anbieten von sexuellen Dienstleistungen.

Teilweise werden unmündige Minderjährige (unter 14 Jahre alt) von den Menschenhändler*innen eingesetzt, da sie nicht von der Polizei inhaftiert werden können und daher bald wieder zur Begehung strafbarer Handlungen angehalten werden können.

Betroffene von Menschenhandel, die strafbaren Handlungen unter Druck bzw. gegen ihren Willen begangen haben, sind Opfer und sollen daher nicht für Straftaten, die während der Zeit ihrer Ausbeutung begangen wurden, zur Rechenschaft gezogen werden. Dieses sogenannte „Non- Punishment-Prinzip“ wird in der EU-Richtlinie 2011/36/EU zu Menschenhandel sowie im Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels festgehalten.

In Österreich sind in § 6 Verwaltungsstrafgesetz mögliche Gründe für Straffreiheit dargestellt. In diesem Rahmen kann Straffreiheit für Betroffene von Menschenhandel vor allem durch einen „entschuldigenden Notstand“ begründet werden. Dies kann aber in der Praxis schwer umzusetzen sein, da diese Bestimmung sehr streng ausgelegt wird. Bisher ist dieser Paragraph in einschlägigen Fällen noch nicht zu Anwendung gekommen.
Im Gerichtlichen Strafrecht findet sich die Regelung des entschuldigenden Notstandes in § 10 StGB. Auch diese Bestimmung wird aber sehr eng ausgelegt, insbesondere wird eine entschuldigende Notstandssituation nur dann angenommen, wenn der*dem Betroffenen unmittelbar ein bedeutender Nachteil droht.

Herausforderungen

  • Betroffene werden oft als Täter*innen wahrgenommen. In der Tat sind sie aber Opfer eines Verbrechens.
  • Aufgegriffene Minderjährige, die von der Polizei in Betreuungsstellen, z.B. die Drehscheibe der Kinder- und Jugendhilfe Wien, gebracht werden, können diese sofort wieder verlassen. Es gibt wenige Anreize, die die Betreuungsstellen anbieten können, um die Minderjährigen zum Bleiben zu bewegen. Die gemischte Unterbringung von mutmaßlichen minderjährigen Ausbeutungsopfern und (anderen) minderjährigen Asylwerber*innen macht eine gezielte Betreuung der potentiell von Menschenhandel Betroffenen fast unmöglich.
  • Minderjährige, die zu strafbaren Handlungen verleitet werden, sehen sich oft nicht als Opfer, sondern akzeptieren ihre Situation – wohl auch mangels Alternative. Sie müssen zwar Teile der Beute abliefern, haben aber ein gewisses Maß an Freiheit und dürfen einen Teil des Erbeuteten für sich behalten. Dass ihnen durch das Verleiten zur Kriminalität jegliche Zukunftsperspektive geraubt wirde, können sie aufgrund ihrer Unerfahrenheit nicht abschätzen; sie besuchen z.B. nicht die Schule und haben daher auch langfristig kaum Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Kriminalität.
  • Beispiele aus dem Ausland zeigen (z.B. Niederlande, Nidos), dass es nur mit einer sehr engmaschigen Betreuung (Betreuungsschlüssel nahezu 1:1) möglich ist, Vertrauen zu den Kindern aufzubauen und ihnen andere Perspektiven zu vermitteln. Erst dann sind sie bereit bzw. fassen den Mut, aus dem kriminellen Kreislauf der Menschenhändler*innen (oft ihre erweiterte Familie) auszusteigen.

Forderungen der Plattform

  • Polizist*innen im Streifendienst sollen über diese Ausbeutungsform aufgeklärt werden, damit sie betroffene Personen als Opfer und nicht als Täter*innen behandelt.
  • Das „Non-Punishment-Prinzip“ soll auch in der Praxis zur Anwendung kommen. Betroffene von Menschenhandel, die Straftaten aufgrund ihrer Zwangslage begangen haben, sollen nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.
  • Die Kinder- und Jugendhilfe soll die Ressourcen zur Verfügung haben, um eine spezialisierte Betreuung für ausgebeutete Minderjährige anzubieten. Solche Minderjährige sollen nicht gemeinsam mit asylsuchenden Minderjährigen betreut werden.

Weiterführende Quellen:
http://www.ecpat.org.uk/sites/default/files/child_trafficking_for_forced_criminality.pdf
https://www.state.gov/documents/organization/233938.pdf
https://www.nidos.nl/