Am 19. September 2024 fand an der Universität Wien eine Podiumsdiskussion zum Thema „Strukturelle Hürden beim Arbeitsmarktzugang – Nährboden für Ausbeutung und Menschenhandel?“ statt, organisiert von der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel. Die Veranstaltung begann mit Fallbeispielen und einer kritischen Einordnung der Thematik aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive. An der Podiumsdiskussion nahmen fünf Expert:innen teil, die die aktuellen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarktzugang erörterten, die für ohnedies benachteiligte Gruppen von Arbeitnehmer:innen kaum zu bewältigen sind.
Die Fallbeispiele
Die beiden Fallbeispiele aus der Beratungspraxis, präsentiert von Mag. Renate Bárány von Hope for the Future und Martha Fromme von der LEFÖ-Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel machten deutlich, wie hoch die bürokratischen Hürden – sogar für anerkannte Opfer von Menschenhandel – sind. Die Klientin von LEFÖ-IBF hatte zwar einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG, der jedoch grundsätzlich nur für ein Jahr gilt und an ein laufendes Gerichtsverfahren gekoppelt ist. Dass der:die Arbeitgeber:in in dieser Konstellation den Antrag auf Beschäftigungsbewilligung stellen muss, schreckt viele Arbeitgeber:innen ab, obwohl es keiner Arbeitsmarktprüfung bedarf. Als die Klientin im Fallbeispiel endlich eine Anstellung hatte, waren 8 von 12 Monaten verstrichen. Glücklicherweise konnte der Aufenthaltstitel im Anlassfall verlängert werden, weil das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen war.
Die Klientin von Hope für the Future ist aufgrund furchtbarer Erlebnisse traumatisiert und Alleinerzieherin von zwei Buben mit besonderem Förderbedarf, die lange auf einen geeigneten Kinderbetreuungsplatz warten mussten. In dieser schwierigen Situation musste die Frau dennoch den A2-Nachweis für Deutsch erbringen, um längerfristigen Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten.
Vor allem die Tatsache, dass Aufenthaltsbewilligungen an strenge Voraussetzungen und Fristen gebunden sind, während die Behörden selbst selten Bearbeitungsfristen unterliegen, erschwert es Betroffenen, rechtzeitig allen Anforderungen gerecht zu werden. Die verschiedenen Behördenstellen kommunizieren nicht miteinander, sodass oft dieselben Dokumente wiederholt bei verschiedenen Behörden eingereicht werden müssen. Dazu kommen eine sehr komplizierte Rechtslage und bisweilen undurchsichtige Zuständigkeitsverhältnisse. Wo schon Menschen, deren Muttersprache Deutsch ist, oft verzweifeln, haben andere ohne Unterstützung durch Hilfseinrichtungen kaum eine Chance, den Bürokratiedschungel zu durchdringen.
Ein kritischer Blick aus der Wissenschaft
In ihrem Impulsvortrag zeigte die Wissenschaftlerin Marta L. Dubel auf, wie vielschichtig Abhängigkeitsverhältnisse gesponnen werden. Personen werden unter falschen Versprechungen nach Österreich gelockt, ihnen werden die Dokumente abgenommen, und sie werden kontinuierlich unter Druck gesetzt, indem ihnen gedroht wird, dass ihre Dienstleistungen nicht mehr nachgefragt oder ihr Lohn nicht ausbezahlt werde, falls sie nicht alle Forderungen der Arbeitgeber:innen erfüllen. Obwohl die Coronakrise deutlich gemacht habe, wie sehr Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich gebraucht werden, seien die Regierungsverantwortlichen nicht bereit, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die derzeitige Rechtslage führe oft dazu, dass Personen mit Migrationshintergrund in prekäre Beschäftigungsverhältnisse ohne Zukunftsperspektive geraten – Verhältnisse, die dazu führen, dass Menschen ausgebeutet werden. Dass Visa teilweise an Arbeitgeber:innen geknüpft sind, schafft zusätzlich Abhängigkeiten. Menschenhandel könne dementsprechend als Folge „staatlich konstruierter Vulnerabilität“ gesehen werden.
Die Podiumsdiskussion
Die Podiumsdiskussion wurde von Dr. Christian Nusser (Chefredakteur des Online-Portals Newsflix und Autor des satirischen Polit-Blogs „Kopfnüsse“) moderiert.
Mag.a Katharina Luger, MBA, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des AMS Wien, erläuterte, dass die Vollziehung des Ausländerbeschäftigungsrechts zur Hoheitsverwaltung zähle und das AMS hier keinen Spielraum habe. Grundsätzlich ist es Aufgabe des AMS Arbeitgeber:innen und Arbeitssuchende zusammenzubringen, wobei das AMS sowohl mit LEFÖ-IBF als auch mit Orient Express kooperiere. 20 Betroffenen von Menschenhandel konnte bereits eine längerfristige Tätigkeit vermittelt werden.
DSA Angela Ivezic, Leiterin der Frauenberatung der arbeitsmarktpolitischen Beratungseinrichtung für Migranten und Migrantinnen – MIGRANT, schilderte, dass es oft lange dauere, bis Betroffene den Weg in die Beratungseinrichtung fänden. Dann würde zunächst unbezahlte, ehrenamtliche Beratung angeboten, denn bezahlt würden die Leistungen von MIGRANT erst, sobald die betreute Person beim Arbeitsmarkt andocke.
Andrea Staudenherz von Hope for the Future beschrieb die Leistungen, die der Verein für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution erbringt, um diese bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Das Angebot reicht von Arbeitstrainings über Deutschkurse, die einen jederzeitigen Einstieg ermöglichen und so niederschwellig sind, dass auch traumatisierte Menschen mit wenig Vorbildung davon profitieren können, bis zu Kooperationen mit Unternehmen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
Katie Klaffenböck, MA von IOM Österreich vertrat am Podium die Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung im Rahmen der Task Force gegen Menschenhandel. Sie bedauerte zum einen, dass der Aufenthaltstitel besonderer Schutz Opfern von Menschenhandel nur sehr selten gewährt werde. Zum anderen betonte sie die Bedeutung geregelter Zuwanderung – auch in den Arbeitsmarkt, um die Nachfrage der Wirtschaft legal befriedigen zu können. Damit könnten unter Umständen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse verhindert werden.
Mag. Markus Zingerle von MEN VIA wies darauf hin, dass von Arbeitsausbeutung betroffenen Männern häufig der „Opferstatus“ nicht geglaubt werde. Stattdessen würden sie oft als „Mittäter“ oder Betrüger gesehen. Leider würden Kontrollbehörden, die die Arbeitserlaubnis oder die Meldung beim Sozialversicherungsträger überprüfen, es immer wieder verabsäumen, in Verdachtsfällen von Arbeitsausbeutung die Kriminalpolizei zu verständigen. Wurden Opfer von Arbeitsausbeutung als solche identifiziert, und versucht MEN VIA sie beim legalen Einstig in den Arbeitsmarkt zu unterstützen, ist es essentiell, dass die Betroffenen bei der Sozialversicherung nachträglich angemeldet werden, damit die im Rahmen der Ausbeutung verrichtete Tätigkeit wenigstens als Berufserfahrung angerechnet werden kann. Für den Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte benötigen die Opfer dann unter anderem eine Bestätigung über den Stand des Strafverfahrens, die jedoch oft so lange auf sich warten lässt, dass es im Hinblick auf den Fristenlauf der Aufenthaltstitel problematisch ist.
Die Veranstaltung machte deutlich, wie dringend notwendig es wäre, bürokratische Abläufe zu vereinfachen und die Rechte von Menschen mit Migrationshintergrund zu stärken, um den Teufelskreis aus Abhängigkeit und Ausbeutung zu durchbrechen. Stattdessen bleibt vieles vage und undurchsichtig, was den engagierten Organisationen und Ehrenamtlichen ihre Arbeit erheblich erschwert.
Betroffen machte zuletzt die Information, dass sogar Einrichtungen, die potentielle Opfer von Ausbeutung unterstützen, selbst unter prekären Bedingungen arbeiteten müssen. Zum einen MEN VIA und MIGRANT, die jedes Jahr erneut um Finanzierung ansuchen müssen, zum anderen der Verein Hope for the Future, der für die wichtigen Unterstützungsleistungen aber gar keine Förderung aus öffentlichen Mitteln erhält.
Folgende Forderungen und Verbesserungsvorschläge wurden im Rahmen der Podiumsdiskussion an die Politik gerichtet:
- Es braucht einen unbefristeten – vom Lauf der Gerichtsverfahren unabhängigen – Aufenthaltstitel für alle Opfer von Menschenhandel, verbunden mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt. § 57 AsylG stellt im Vergleich zur früheren Rechtslage, die Gewaltbetroffenen eine Niederlassungsbewilligung ermöglichte, eine Verschlechterung dar.
- Die Arbeitssuche würde sich für Betroffene auch einfacher gestalten, wenn der Gesetzgeber das AMS mit ihrer Vermittlung an Arbeitgeber beauftragen würde, anstatt von den Arbeitsuchenden zu verlangen, den:die Arbeitgeber:in um die Antragstellung beim AMS zu ersuchen.
- Es wäre wünschenswert, wenn Betroffene von Menschenhandel oder familiärer Gewalt gemäß § 57 AsylG künftig Inhaber:innen des humanitären Aufenthalts gemäß §§ 55 u. 56 AsylG insofern gleichgestellt werden können, als sie auch nahtlos in die Rot-Weiß-Rot Karte Plus umschwenken können sollten, und diese Aufenthaltszeiten zur Gänze für den Daueraufenthalt angerechnet werden sollten, nicht wie bisher nur zur Hälfte. Eine sichere Zukunftsperspektive würde nämlich wesentlich zur Erholung dieser von Menschenrechtsverletzungen betroffenen und teilweise sogar traumatisierten Personen beitragen.
- Eine kurze Probezeit sollte bei einem interessierten Arbeitgeber vor einem offiziellen Antrag auf Beschäftigungsbewilligung möglich sein.
- Die Rechtslage sollte vereinfacht werden, da die große Zahl von Aufenthaltstiteln mit unterschiedlichen Voraussetzungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt schwer zu überblicken ist.
Videos von den Vorträgen
(öffnen in einem neuen Fenster auf YouTube)
- Vortrag 1: Fallbeispiel 1
- Vortrag 2: Fallbeispiel 2
- Vortrag 3: Kritischer Blick aus der Wissenschaft
- Vortrag 4: Podiumdiskussion
Text: Christina Pichler, Katharina Beclin
Bildquellen: cphoto|Christina Pichler, Daniel Holzinger